Auswirkungen der aktuellen Lage auf das Thema Verkehrswende.
Ich habe mich mit dem Thema der Nachbarschaftshilfe während Corona beschäftigt und mir dabei auch die Frage gestellt: Sind durch Zusammenarbeit in der Nachbarschaft weniger Autos auf der Straße unterwegs? Ist es meinen Nachbarn überhaupt wichtig, durch das gegenseitige Helfen eine Veränderung im Verkehrsverhalten zu provozieren? Oder stehen andere Aspekte im Vordergrund?
Unsere Wohnsituation: Wir leben in einem kleinen Dorf (200 Einwohner). Der nächste Supermarkt ist quasi nur mit dem Auto zu erreichen und mindestens 9 km entfernt.
Für mich ist es ganz klar: Um einen Großeinkauf zu bestreiten, lohnt es sich, das Auto in Gang zu setzen. Doch um Kleinigkeiten wie Mehl oder einen Liter Milch zu besorgen, sehe ich keinen Sinn darin, die Umwelt mit einer Autofahrt zu belasten.
In unserer Sackgasse kam im Zuge der Corona-Krise eine Nachbarschaftshilfe zustande: In der WhatsApp-Gruppe wurde verkündet, wenn jemand eine Fahrt zum Supermarkt plante. Der Rest konnte dann Bestellungen abgeben, die meist die oben genannten Kleinigkeiten beinhalteten. Einige Wochen lief dies einwandfrei:
(Vornamen abgekürzt in anonymer Form)
G (Rentner): Es war zunächst einmal ein gutes Gefühl, dass so etwas funktioniert. Der Austausch auf WhatsApp war sehr rege. Für mich war Einkaufen durch die Corona-Maßnahmen eine stressige Angelegenheit. Die Aktion in der Nachbarschaft hat mir nur Positives eingebracht.
Doch dann kamen wieder Lockerungen ins Land und die Nachbarschaftshilfe ließ nach.
Wieso?
Ich befragte dazu meine Nachbarn und erhielt folgende Antworten:
G: Die entstandene Solidarität basierte auf einer Verhaltensänderung, die durch die Corona-Auflagen nötig wurde. Da die Bedrohung durch die Lockerungen abgeschwächt wurde, fiel man wieder in alte Muster zurück. Ich hoffe jedoch, dass es in Zukunft mehr Solidarität geben wird, dass Corona eine Veränderung dahingehend erzeugt.
G: Wobei ich sagen würde, mir ist das ein bisschen zu wenig, ich würde ganz gern mit jemand anderem mitfahren zum Einkaufen, also zusammen zum Supermarkt fahren und dann kann jeder für sich einkaufen, da kann man ein bisschen ratschen. Bisher ist das so anonym (wie Lieferando). Das Gute ist, wenn man zusammen im Supermarkt ist, muss man auch aufeinander Rücksicht nehmen. Es gibt eine Interaktion, die ist grundsätzlich gut.
Zu meinem Argument, weniger Autos auf der Straße zu haben, kommt nun auch der Vorteil der Solidarität auf. Für G war dies ein ausschlaggebender Punkt für die Nachbarschaftshilfe, man baut eine gute Beziehung zum Nachbarn auf. Man achtet aufeinander. Meine Nachbarn T und A reagieren auch gut auf diese Idee, miteinander zu fahren:
A: In unserem Dorf fahren alle in bestimmte Richtungen, es gibt nicht so viele Varianten, von uns aus wohin zu fahren. Das wäre auch losgelöst vom Einkaufen eine Möglichkeit für uns, gut organisiert hier wegzukommen.
T: Für mich kommt das besser, als nur etwas mitzunehmen für andere. Dazu hat man dann noch eine Unterhaltung. Hätte durchaus seinen Charme…
Ich fragte weiter: Was müsste man tun, damit Nachbarschaftshilfe weiter funktioniert und genutzt wird?
G: Du sagst MAN, dieses MAN müsste durch eine konkrete Person ersetzt werden, einer muss sich berufen fühlen, der die anderen versucht, davon zu überzeugen. Nicht unter Zwang, kein Bloßstellen. Einfach mal werben für diese Idee.
A: Eine Plattform, wo man seine regelmäßigen Fahrten einträgt. Das haben wir in der Firma ausprobiert, hat überhaupt nicht geklappt.
L: Und wenn man die Umwelt im Blick hat und hierfür etwas Gutes tun möchte?
A: Ehrlich gesagt, sehe ich das weniger. Aber da muss ich wirklich sagen, weil ich echt immer noch denke, dass es zum Einkaufen kurze Strecken sind. Aber beim Weg in die Arbeit, da denke ich in der Umweltdimension. Weißt du, jeden Tag fährt da ein Auto mit einer Person nach München (30 km einfach) rein. Das würde ich eher effizienter finden, da etwas zu finden.
L: Weg in die Arbeit, das ist ein super Stichwort:
Ein tolles Beispiel der Nachbarschaftshilfe ereignete sich vor ein paar Jahren bei uns: Unser Nachbar G durfte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Autofahren und schaffte es dennoch eineinhalb Jahre lang jeden Tag in die Arbeit nach München. Alles Dank Nachbarn, die ihn mitnahmen.
Aus dem Gespräch mit meinen Nachbarn nahm ich einige Erkenntnisse mit:
Wir brauchen EINE Person, die die Anleitung der Nachbarschaftshilfe in die Hand nimmt.
Wir brauchen andere Benzin- und Autopreise, damit das Autofahren eine größere Überwindung darstellt.
Und die Solidarität und die Interaktion in der Nachbarschaft sollte als gewinnbringend betrachtet werden.
Luca Ernemann