Lecker, giftig, tödlich.

Die schönen Killer im Wald

Zuerst war ihm nur etwas schwindelig, dann schienen sich Tisch und Couch zu bewegen. Im gleichen Moment fühlte er sich, als würde er schweben. Der Teppich wurde ein tiefer, blauer See, den er überspringen wollte. Doch da spürte er plötzlich Brechreiz und etwas, das seine Kehle abschnürte. Er rang nach Luft, öffnete die Augen und sah, wie jemand einen daumendicken Schlauch aus seinem Mund zog. Er schmeckte dabei den übel riechenden Magensaft und verspürte sofort wieder Brechreiz, aber da war nichts mehr. Die ganz in grün gekleidete Krankenschwester sah ihn an und sagte, dass draußen seine Eltern bereits warten würden und er knapp an einer tödlichen Fliegenpilzvergiftung vorbeigeschrammt sei. Die Polizei werde sich mit ihm auch noch unterhalten…

Pilze sind die ältesten Rauschmittel auf unserem Planeten. Lange bevor man Gärung und somit den Alkohol entdeckte, halfen bereits die chemischen Substanzen der Pilze Schamanen aus aller Welt, in eine Welt der Geister und Ahnen abzutauchen.

Aber Achtung! Niemand kann bei Pilzen die Menge der Wirkstoffe bestimmen. Wuchsort, Größe, Tageszeit, Trocknungszustand – viele Punkte bestimmen den Wirkstoffgehalt. Es gibt sogar Pilze, die in Russland regelmäßig verzehrt werden und bei uns giftig sind. Der Versuch, sich mit Pilzen in Rauschzustände zu versetzen, kann tödlich sein – was sich leider alle Jahre wieder vor allem bei Jugendlichen zeigt. Ein Trip in die „Geisterwelt“ kann dann definitiv die letzte Handlung sein. Also, Finger weg von Experimenten!

Giftig, oder doch ungefährlich?

Wenn du wohlige Genüsse liebst und dich gerne verzaubern lässt, dann genieße unsere Pilze auf kulinarische Art und Weise. Die Klassiker sind dabei immer noch der Hit. Der Milch-Brätling oder auch Frauentäubling in einer mit Butter gefetteten Pfanne, ein bisschen Salz und Gewürze und fertig ist ein phänomenaler Genuss. Das sind Gaumenfreuden, auf die man sich ein ganzes Jahr freuen kann.

Rund 5.000 Pilzarten gelten in Mitteleuropa als heimisch. Wie du siehst: eine Riesenauswahl. Doch nur die wenigsten Menschen begeben sich in das Reich der Pilze. Flora und Fauna kennt jeder, aber die Funga, das Reich der Pilze, ist für viele unbekannt. Trotzdem bestimmen sie unser Leben. Kein Brot und kein Bier gäbe es ohne Pilze. Selbst in der Medizin sind sie unsere stärksten Verbündeten im Kampf gegen schädliche Bakterien. Der Pinselschimmel produziert Penicillin. Ein Großteil unserer Pflanzen, vor allem Bäume, lebt in enger Wechselbeziehung (Symbiose) mit Pilzen. Die Vitalität und Überlebensfähigkeit hängt entscheidend von ihren „hütigen Freunden“ ab. Aber Pilze können Pflanzen auch töten, eines der effektivsten Fungizide (Spritzmittel gegen Pilzbefall) wird von Pilzen hergestellt. Steinharte Eichen werden unter ihren Angriffen weich wie nasse Pappe. Und Mensch und Tier können nach dem Genuss derselben sterben. Das Mutterkorn, ein Pilz an Brotgetreide, verursachte oft Massenvergiftungen (Ergotismus-Syndrom).

Tödliche Pilze

Zweifellos ist einer unserer schönsten Pilze der Fliegenpilz. Seinen Namen trägt er unter anderem wegen seiner Fähigkeit, Fliegen zu töten. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit lebten Mensch und Tier Tür an Tür. Fliegen waren eine Plage, die man nicht mit chemischen Klebfliegenfallen (in Kuhställen oft tödlich für Fledermäuse, die dort ebenfalls hängen bleiben) oder UV-Grillgeräten bekämpfte, sondern auf die pilzige Art. Fliegenpilz in warmer Milch köcheln, ein wenig Zucker dazu und die Suppe auf den Schrank stellen (weg von Kindern und Katzen – gefährlich!). Die Fliegen werden die Suppe entdecken, ihren Rüssel ausfahren, Magenflüssigkeit hoch pumpen, ihren schwammartigen Saugtastrüssel als Strohhalm nutzen, die Suppe leicht vorverdaut einsaugen und – richtig: umkippen. Das war’s.

Neben den unverwechselbaren Arten gibt es aber natürlich auch oftmals giftige Doppelgänger. Das super schmackhafte Stockschwämmchen, das oft zu Dutzenden aus einem verfaulenden Baumstumpf herausquillt und Suppen und Soßen veredelt, hat einen gefährlichen Bruder, den Nadelholz-Häubling. Er besitzt die gleichen Gifte wie der allseits bekannte Grüne Knollenblätterpilz. Ein Giftstoff, der leider erst lange nach der Mahlzeit zu wirken beginnt und tödlich sein kann. Keine Chance mehr mit Magen auspumpen! Da ist er bereits längst verdaut. Selbst wenn man es überleben sollte, kann man hinterher die Leber vergessen. Maximal als eine Spende für das Giftzentrum als Anschauungsobjekt kann sie noch verwendet werden.

Eine besonders heimtückische Vergiftung verursachen einige Rauhköpfe, wie zum Beispiel der „Spitzgebuckelte Rauhkopf“. Oft dauert es bis zu 14 Tage, bis Symptome auftreten. Man bekommt Durchfall, Mundtrockenheit und Bauchkrämpfe, und die Niere verliert an Funktion. Da bleibt nur noch die Dialyse oder eine Nierentransplantation.

Nur was man zweifelsfrei kennt, sollte man sammeln und zubereiten. Pilzsachverständige können dabei helfen, Pilze sicher zu bestimmen.

Als kleiner Tipp: Die Pilzputzreste nicht wegwerfen, sondern am Kompost separat lagern. So kann man später bei Vergiftungen den Verursacher ausmachen und dementsprechend behandeln. Ein weiterer Pilz, der Erfahrung beim Sammeln voraussetzt, ist der Perlpilz. Wohlschmeckend und als sehr guter Bestandteil von Pilzmischgerichten zeigt er leider eine große Ähnlichkeit mit dem Pantherpilz und dem Grauen Wulstling: zwei stark toxischen (also sehr giftigen) Pilzen. Sein leicht rötendes Fleisch auch in den Madengängen ist allerdings unverwechselbares Bestimmungsmerkmal. Wer ihn einmal gesehen hat, kennt ihn.

Welt der Pilze

Der verwertbare Pilz ist ja bekanntlich nur der Fruchtkörper des eigentlichen Pilzes. Dieser, auch Myzel genannt, wächst unsichtbar im Boden. Wenn man einmal solch eine Stelle entdeckt hat, wo die Fruchtkörper sprießen, hat man einen „Schwammerlplatz“ gefunden: eine Geheimnis umwitterte Stelle im Wald. Ein Platz, der vom Pilzliebhaber besser gehütet wird als der Pin-Code seines Handys. Stellen, die nach einer alten Regel nur von Vater oder Mutter an Sohn oder Tochter weitergegeben werden. Niemals an Dritte! Solche Schätze, wo sich Kiefern-Steinpilz oder Flockenstieliger Hexen-Röhrling Gute Nacht sagen, müssen gehütet werden. 

Aber Achtung, auch Pilze sind mittlerweile bedroht und einige stehen bereits auf der Roten Liste. Nicht übertreiben beim Sammeln! Nur soviel mitnehmen, wie tatsächlich gegessen werden kann! Übrigens, Pilzgerichte sollten mindestens 20 Minuten köcheln. Ausgenommen sind Pilzgerichte, die in der Pfanne gebraten werden.

Wer das Glück hat, mit pilzkennenden Großeltern oder Eltern ausgerüstet zu sein, sollte dies nutzen und gemeinsam mit ihnen im Spätsommer oder Herbst durch die Wälder streifen, um unsere wunderschöne und vielfältige Pilzwelt zu entdecken und sich die Findlinge anschließend schmecken zu lassen.