Gemeinwohlökonomie konkret

Wirtschaft mal anders

Mängel am aktuellen Wirtschaftssystem zu finden fällt nicht schwer. Aber was könnte man ändern? Wie könnte man es besser machen? Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) versucht darauf eine Antwort zu geben, versteht sich selbst aber nur als Vorschlag, als diskutablen und veränderbaren Ansatz, der zum Weiterdenken und Mitarbeiten anregen soll. Die Grundprinzipien heißen dabei Kooperation und Demokratie.

Werte und Normen

Zunächst einmal möchte die GWÖ ein neues Wertesystem schaffen, beziehungsweise die bestehenden und allgemein unterstützten Werte unserer Gesellschaft beibehalten und endlich auch in der Wirtschaft umsetzen. Vor allem Vertrauen, gegenseitige Wertschätzung, Solidarität und Kooperation werden dabei befürwortet und dürfen nicht mehr nur im Privaten anerkannt und honoriert werden, sondern genauso im Berufsleben. Auch Chefs sollen sozial handeln können, ohne dabei ihre Karriere zu riskieren.

Geld darf daher nicht mehr im Mittelpunkt des Handelns stehen, sondern soll nur noch eine untergeordnete Rolle als Tauschmittel einnehmen. Um das zu erreichen, muss die Maßeinheit für Erfolg geändert werden – man möchte nicht mehr den erwirtschafteten Gewinn eines Unternehmens in einer Finanzbilanz als Kerngröße bei dessen Bewertung zu Rate ziehen, sondern eine sogenannte Gemeinwohlbilanz erstellen.

Diese beinhaltet Faktoren wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sowie Demokratie, Mitbestimmung und Transparenz. Das Ergebnis dieser Bewertung wird sowohl in Form einer Zahl als auch in einer textlichen Ausführung veröffentlicht und ist damit auch den Konsumenten für ihre Kaufentscheidung zugänglich.

Außerdem beeinflusst der GWÖ-Index die Steuerklasse von Unternehmen und die Verteilung von staatlichen Subventionen und Investitionen. Soziale, nachhaltige und umweltbewusste Unternehmen werden unterstützt und gefördert, ihre Produkte werden dementsprechend günstiger und haben einen Marktvorteil. Dadurch soll es sich für Unternehmen lohnen, nach moralischen und ethischen Grundsätzen zu handeln.

Teamwork zahlt sich aus

Darüber hinaus möchte die GWÖ die Kooperation von Unternehmen untereinander belohnen. Konkurrenzverhalten bleibt zwar möglich, aber unrentabel, da es sich schlecht auf die Bilanz auswirkt. Mehr noch, die Firmen können gegenseitig profitieren, wenn sie Wissen teilen oder Aufträge untereinander weiterleiten. Auch das soll möglich werden, da die Betriebe fortan nicht mehr dauerhaft auf Wachstum getrimmt sein müssen – schließlich nutzt ihnen das nichts. Jedes Unternehmen kann also seine optimale Größe finden, ohne fürchten zu müssen, von einem Großkonzern aufgekauft zu werden.

Mit zunehmender Größe soll schließlich auch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer wachsen, die Machtkonzentration bei Einzelpersonen soll zum Schutze der Allgemeinheit verhindert werden.

Zudem sollen die erwirtschafteten Gewinne entweder im Unternehmen selbst bleiben, um dort für Investitionen zur Verfügung zu stehen, oder aber an die Arbeiter ausgeschüttet werden.

Investoren, die von der Arbeit der anderen profitieren, müssen der Vergangenheit angehören; Wohlstand soll durch die eigenhändig geleistete Arbeit entstehen. Trotzdem sind Investoren weiterhin vorgesehen, nur, dass sie statt aus Profitstreben aus Begeisterung für ein Projekt oder zur Förderung des Gemeinwohls investieren.

Des Weiteren können Unternehmen sich gegenseitig mit Geld unterstützen und werden auch dafür in ihrer Bilanz belohnt.

Liberté, egalité, bedingungsloses Grundeinkommen

Eine weitere wichtige Rolle im Konzept der GWÖ spielt die Gerechtigkeit. Die riesige Schlucht zwischen Arm und Reich des aktuellen Systems soll daher durch die Festlegung eines maximalen Einkommensunterschieds behoben werden. Die Höhe dieser Grenze würde dann ein demokratischer Wirtschaftskonvent festlegen.

Doch dadurch allein wäre das Problem nicht gelöst, auch gleiche Startchancen für alle sind essentiell. Die GWÖ sieht daher vor, auch einen Maximalwert für die Erbschaft einzuführen, das überschüssige Geld soll als demokratische Mitgift gleichmäßig auf alle Berufseinsteiger verteilt werden. So haben nicht nur die Söhne und Töchter wohlhabender Eltern die Möglichkeit, ein Unternehmen zu gründen.

Jeder soll nämlich auch die Möglichkeit haben, seinen Beruf frei nach den eigenen Interessen und Fähigkeiten wählen zu können. Diese Freiheit soll durch ein bedingungsloses Grundeinkommen erreicht werden.

Dienstag, erste Stunde: Wildniskunde

Die Umsetzung der neuen Wirtschaftsform und deren genaues Aussehen soll vom Volk selbst bestimmt werden. Dafür wählt es einen Wirtschaftskonvent, der eine neue Wirtschaftsverfassung erarbeitet. Diese wird dem Volk schließlich zur Abstimmung vorgelegt.

Doch damit dieses System auch in der Praxis funktioniert, muss sich das Grundverständnis der Gesellschaft ändern – weg vom Profitdenken und hin zu einer gemeinwohlorientierten Einstellung. Dies geschieht natürlich nicht von einem Tag auf den anderen, sondern ist ein langwieriger Prozess, der mit dem Bildungssystem beginnt.

Schon Kinder sollen in Demokratiekunde und Wertekunde unterrichtet werden, doch für ein inneres Verständnis des Gemeinwohlgedankens ist auch eine verbesserte Selbstkenntnis und Verständnis für die Umwelt vonnöten. Christian Felber, der führenden Theoretiker der GWÖ-Bewegung, schlägt Gefühlskunde, Kommunikationskunde, Naturerfahrungs- und Wildniskunde sowie Körpersensibilisierung als zielführende Schulfächer vor.

Alles in allem gesehen ist die GWÖ weniger ein Wirtschaftssystem, als vielmehr ein ganzheitlicher Ansatz zur Verbesserung der aktuellen Missstände. Ob alles – wie in diesem Konzept beschrieben – umsetzbar ist, bleibt fraglich. Aber einige der Gedanken und Vorschläge sind es sicher wert, dass sie etwas näher beleuchtet werden.

Quelle: Die Gemeinwohl-Ökonomie; Christian Felber; 2012

Von Marie Braun - 6. Juli 2017